Das Surfen selbst findest du gar nicht so schwer?
Nein, das läuft eigentlich ganz automatisch ab. Sobald wir im Lineup angekommen sind, sagt mir Rico, wenn eine Welle kommt und ich lospaddeln soll. Er ruft mir dann noch zu, ob es eine Linke oder Rechte ist. Sobald ich aber den Schub der Welle spüre, mache ich alles nach Gefühl. Der Takeoff gelingt mir eigentlich fast immer, als Blinder habe ich dabei auch einen großen Vorteil: Ich spüre einfach, wenn es Zeit ist aufzustehen, während andere sich viel mehr darauf konzentrieren, wie der Takeoff auszusehen hat. Dadurch verpassen sie oft den richtigen Zeitpunkt, weil sie nicht darauf achten, was das Wasser unter ihnen macht. Wenn ich dann auf der Welle surfe, bin ich komplett auf mich allein gestellt – ein Gefühl, das ich wahnsinnig genieße. Wir haben schon einmal überlegt, ob es Sinn machen würde, mit einem Headset zu arbeiten. Dann könnte mir jemand vom Strand aus Anweisungen geben. Etwa, ob ich nach links oder nach rechts weitersurfen soll oder was ich während des Ritts verbessern kann. Aber ich will das gar nicht. Denn für mich ist das Tollste beim Surfen dieser Moment, in dem ich völlig auf mich alleine gestellt bin. Ich kann tun, was ich will und bekomme sofort die Konsequenzen zu spüren. Wenn ich einen Wipeout habe, dann bin ich selber schuld, und wenn ich eine tolle Welle abreite, dann kann ich mir selbst auf die Schulter klopfen. Für einen Blinden gibt es nicht viele solcher Momente. Ich kann eben nicht alleine joggen oder radfahren. Und genau deswegen genieße ich diese zehn Sekunden, in denen ich ganz alleine bin und einfach nur tue, was ich denke tun zu müssen, um den Bedingungen gerecht zu werden.

Was ich am Surfen so toll finde ist dieser Moment, in dem ich völlig allein mit mir bin und tun kann, was ich will – mit jeder Konsequenz.

Wie würdest du dein Surfkönnen einschätzen?
An guten Tagen schaffe ich es, eine rechte Welle backside und eine linke Welle frontside zu surfen, manchmal fahre ich aber auch einfach nur geradeaus. Wo mein Limit in Sachen Wellenhöhe liegt, kann ich nicht sagen. Ich sehe ja nicht, wie groß die Wellen sind. Aber vielleicht kann das Rico besser beantworten…

Rico: Ich würde sagen, dass Hansis Limit im Moment bei brust- bist kopfhohen Wellen liegt. Bei vielen meiner Surfschüler, die normal sehen und die gleiche Surferfahrung haben, ist das nicht anders. Für die Zeit, die Hansi in den letzten drei Jahren in das Surfen investiert hat, hat er wirklich gute Fortschritte gemacht und steht Sehenden in nichts nach. In manchen Situationen hat er vielleicht sogar einen Vorteil. Da er nichts sieht, stürzt er sich mit einer „Go for it“-Einstellung in so manche Welle, bei der ein sehender Schüler möglicherweise zurückgezogen hätte. Oft schaue ich ihm einfach nur staunend hinterher…

Wie kommt Hansi nach einem Ritt wieder zurück zu dir in den Lineup?
Rico: Ich helfe ihm durch Pfeifen oder Rufe, sich im Wasser zu orientieren. Entweder hole ich ihn dann mit der nächsten Welle ab oder Hansi paddelt alleine zurück in den Lineup – je nachdem, was die Bedingungen zulassen.

Hansi und sein Freund und Surf-Buddy Chris Danner nach einer Session in Kantabrien.
Hansi und sein Freund und Surf-Buddy Chris Danner nach einer Session in Kantabrien.

Hansi, du surfst nicht nur, sondern kletterst auch schon seit vielen Jahren. Was ist schwieriger?
Ich glaube, dass Klettern einen Tick einfacher für mich ist, weil ich als Blinder immer fühlen kannst, wo ich hingreife. Außerdem kann ich mich auch öfter mal ins Seil setzen und ausruhen. Ich hing zwar auch schon einmal kopfüber im Seil, aber trotzdem habe ich beim Klettern bei Weitem nicht so viel Angst wie beim Surfen. Dafür ist das Freiheitsgefühl beim Surfen größer.

Welche gefährlichen Situationen Hansi schon beim Surfen erlebt hat, lest ihr auf der nächsten Seite.