Gab es im Wasser schon einmal eine brenzlige Situation?
Ja, vor allem zwei Erlebnisse haben sich mir echt im Gedächtnis eingebrannt. Letzten April in Peniche hatte ich gerade eine richtig gute Welle gesurft, bin abgesprungen und habe vor lauter Freude die Arme hochgerissen. Dann habe ich mich in Richtung Lineup gedreht, weil ich auf Anweisungen von Rico wartete, ob ich wieder rauspaddeln kann. Genau in diesem Moment brach eine Welle vor mir und riss mich völlig überraschend unter Wasser. Zu dem Zeitpunkt war ich schon ziemlich außer Puste und hatte blöderweise auch noch den Mund offen – da wurde die Luft unter Wasser dann doch etwas knapp. Und vor kurzem ist mir der Worst Case passiert, ebenfalls in Peniche: Ich habe eine Welle angepaddelt, bin aber irgendwie nicht hochgekommen und gestürzt. Normalerweise ist das nicht weiter tragisch, ich ziehe einfach mein Board mit der Leash zu mir und weiter geht’s. Aber da war kein Board mehr. Die Leash war aufgegangen, und ich trieb völlig orientierungslos im Meer. Stehen konnte ich an der Stelle auch nicht, und dann drückte mich auch schon die nächste Welle unter Wasser. Da bekam ich Panik, richtig Panik. Glücklicherweise hat Rico schnell reagiert und mir zugerufen, dass alles ihn Ordnung ist und er gleich bei mir ist. Er hat mir dann seine Leash angelegt, wir haben uns gemeinsam auf sein Board gelegt und uns an den Strand spülen lassen. Ich habe eine Minute durchgeatmet, und dann sind wir wieder raus. Eigentlich bin ich ganz froh, dass mir das jetzt mal passiert ist, denn jetzt weiß ich, dass ich es beim nächsten Mal auch überlebe.
Plötzlich war mein Brett weg und ich trieb völlig orientierungslos im Meer – der absolute Worst Case.
Wie reagieren andere Surfer auf dich? Merken sie überhaupt, dass du blind bist?
Meist merken sie es nicht so schnell. Im Gegenteil: Gerade Surfer, die noch nicht so gut sind, paddeln dann ausgerechnet zu unserem Peak, weil sie sehen, dass da nur ein einzelner Surfer mit Surflehrer im Wasser ist. Falls es dann voll werden sollte, gehe ich lieber raus, bevor es gefährlich wird. Es geht ja nicht nur um meine Gesundheit. Ich habe mein Board wohl nicht so gut unter Kontrolle wie jemand, der sieht, und ich möchte auf keinen Fall, dass durch mich jemand verletzt wird.
Was möchtest du im Surfen noch erreichen?
Mein größtes Ziel ist, weiterhin Spaß am Surfen zu habe und es mir nicht durch meinen eigenen Ehrgeiz zu vermiesen. Es gibt diesen Spruch: So lange gut nicht gut genug ist, ist besser immer möglich. Der passt ziemlich gut zu mir, und ich muss manchmal aufpassen, nicht zu viel zu wollen. Vor drei Jahren konnte ich mir nicht einmal vorstellen, jemals auf einem Surfboard zu stehen und ein paar Urlaubswochen später bin ich unzufrieden, wenn es mich mal nach zwei Sekunden vom Brett fegt. Ich muss einfach einsehen, dass mir als Blindem eher Grenzen gesetzt sind als einem Sehenden. Gerne würde ich es schaffen, selbstständiger im Lineup zu sein und irgendwann auch ohne Surflehrer nur mit meinem Kumpel surfen zu gehen. Das wäre auch finanziell eine große Erleichterung, und ich könnte noch öfter ans Meer. Natürlich würde ich auch gerne bessere Manöver fahren. Die anderen Surfer erzählen mir immer, was Kelly Slater und die ganzen jungen Brasilianer so für verrückte Dinge auf ihren Boards anstellen…
Gibt es schon ein Ziel für deinen nächsten Surftrip?
Eventuell geht es im Januar nach Marokko und im April wahrscheinlich wieder nach Peniche. Aber mein größter Traum ist es, mir einen Job am Meer zu suchen und dort ein paar Monate zu leben. Als Physiotherapeut ist das gar nicht so unrealistisch. Dabei möchte ich nicht unbedingt für immer aus Deutschland weg, aber es wäre einfach cool, für längere Zeit jeden Tag surfen zu können. Für mich ist Surfen so viel mehr als nur ein Sport, man kann so viel davon aufs Leben ummünzen.
Zum Beispiel?
Du nimmst dir etwas vor und stellst einen Plan auf. Es ist sicher nicht schlecht, sich einen Plan aufzustellen, aber dann willst du ihn durchdrücken, egal was kommt, und das funktioniert nur in den seltensten Fällen. Das ist beim Surfen genauso: Du sagst dir: Heute rocke ich das Ding, und dann kriegst du nichts auf die Reihe, schimpfst nur vor dich hin und machst die Bedingungen oder die anderen Surfer dafür verantwortlich. Natürlich kannst du sagen, dass alles Scheiße ist, aber dann wird es auch so bleiben. Du kannst dir aber auch sagen: Es ist, wie es ist, ich muss meine Sichtweise ändern, meinen Plan verwerfen und mich den Bedingungen anpassen – und plötzlich funktioniert es. Wenn man immer verbissen versucht, einen Weg zu gehen und zum achten Mal gegen die Wand rennt, dann sollte man vielleicht etwas ändern. Noch ein zweites Beispiel: Ich wollte schon oft wieder an Land, weil ich mental und körperlich fertig war. Doch dann kam plötzlich diese eine Welle, als wollte das Meer mir sagen: Ach komm, bleib doch noch ein bisschen! So ist es auch oft im Leben: Eigentlich hast du gerade gar keine Lust mehr und findest alles viel zu anstrengend, doch plötzlich kommt ein netter Mensch um die Ecke oder du hast ein schönes Erlebnis, an dem du dich wieder aufrichten kannst. Das sind Parallelen, die ich vom Leben zum Surfen oder vom Surfen zum Leben ziehe.