Der Streit um die Floßlände wirkt beinahe so traditionell wie das Münchner Oktoberfest. Jetzt endlich läuft die Welle und das ist alles andere als selbstverständlich. Zu verdanken haben das die Müncher Surfer der IGSM (Interessengemeinschaft Surfen in München) und ihrem Durchhaltevermögen im scheinbar endlosen Disput mit den Münchner Stadtwerken.
Als die SWM (Stadtwerke München) vor gut 10 Jahren anfing, vermehrt auf Ökostrom zu setzen war es erstmal vorbei mit dem Surfen im Ländkanal. Lediglich aufgrund der Floßfahrten leiteten die Stadtwerke am Nachmittag mehr Wasser durch den Kanal, die Surfer schwammen auf der Bugwelle der Flößer mit, trotz ihrer langen Existenz (die Welle wird seit 50 Jahren gesurft) hatten die Surfer eine schwache Lobby. Da aber aufgrund von Corona die Floßfahrten für diesen Sommer abgesagt wurden, sahen die Stadtwerke München keinen Grund, mehr Wasser in den Kanal zu leiten. Die Surfsaison an der Floßlände 2020 drohte auszufallen. Doch in Oberbürgermeister Dieter Reiter fanden die Surfer einen Verbündeten, der die zuständigen Referate und die SWM bat, das Surfen an der Floßlände in einem Testbetrieb umgehend länger zu ermöglichen. Wir haben mit Johannes Rützel, Vorstandsmitglied der IGSM, gesprochen und mit ihm über touristischen Marketingwert vom Flusssurfen, Nutzungsrechte der Isar und die neuen Öffnungszeiten an der Floßlände gesprochen.
7 Fragen an Johannes Rützel

1. An der Flosslände wird seit über 50 Jahren gesurft. Das Wasser wurde aber eigentlich für die Floßfahrten umgeleitet, ihr seid quasi auf deren Welle mitgesurft. Warum haben Surfer an der Floßlände die schwächste Lobby, obwohl es euch am längsten gibt?
An der Floßlände treffen viele Interessen aufeinander. Die Flößer und Stadtwerke nutzen das Wasser seit über 100 Jahren. Seit den 1920er Jahren nutzen auch Kanufahrer die Floßlände. Dazu kommen noch Naturschutz, Fischerei und das Naturbad Maria-Einsiedel. Gesurft wird an der Floßlände seit 1971. 2008 hatten die Surfer noch keine große Stimme an der Floßlände und so kam es zum großen Knall: Die Beschickung des Kanals wurde zugunsten der Stadtwerke München gedrosselt und Wassersport war kaum noch möglich. Tatsächlich sind wir Surfer also die jüngsten Nutzer des Kanals. Trotzdem hat die Interessengemeinschaft Surfen in München mit ihren etwa 300 Mitgliedern und unserer Lobbyarbeit jetzt mehr erreicht als die anderen neun Wassersportvereine (darunter z.B. der Deutsche Alpenverein und der TSV 1860 München)! Seit 2014 holen wir uns den Spot Stück für Stück zurück. Im Sommer 2015 konnte die IGSM e.V. die Welle an der Floßlände nach sieben Hungerjahren durch den Einbau einer Wellenrampe wieder surfbar machen – leider nur für fünf Stunden am Tag und gleichzeitig mit den Floßfahrten. Die jetzige Ausweitung der Surfzeiten ist das Ergebnis jahrelanger ehrenamtlicher Arbeit während der wir gute Kontakte in Politik und zur Presse geknüpft haben. Damit wir unsere Arbeit noch besser machen können, würden wir uns freuen, wenn mehr Surfer in den Verein eintreten, denn wir wissen alle, dass es deutlich mehr als 300 Surfer in München gibt, die alle direkt oder indirekt von unserer Arbeit profitieren. Der Jahresbeitrag von 30 € ist ja eher symbolischer Natur – eine andere Finanzierung haben wir nicht.
2. Die Stadtwerke haben ein Nutzungsrecht des Wassers, welches auf 1907 zurückdatiert wird. Zu bezweifeln bleibt ob dies rechtlich gesichert ist. Das Hauptargument der Stadtwerke gegen eine Umleitung des Wassers ist ein daraus resultierender Gewinnverlust im 5 stelligen Bereich. Kann man dem Ganzen nicht einen Marketingwert gegenüber stellen, den Flusssurfen für die Stadt München hat?
Der wasserrechtliche Genehmigungsbescheid aus dem Jahr 1907 ist verschollen. Der Eintrag im Wasserbuch der Stadt München aus dem Jahr 1927 enthält jedoch eine Passage, dass das Wassernutzungsrecht der SWM aufgrund eines öffentlichen Interesses reduziert oder auch ganz entzogen werden kann. Der Wert des Flusssurfens, das mittlerweile zur Münchner Stadtkultur gehört, lässt sich nur schwer beziffern. Da könnte man auch fragen, was der Trachten- und Schützenumzug, der Tanz der Marktweiber am Viktualienmarkt oder das Weißwurstzutzeln eigentlich wert sind. An einem großen Runden Tisch im Januar 2020 hat eine Tourismusvertreterin der Stadt München bestätigt, dass der Eisbach als Programmpunkt unzähliger Stadtführungen eine Anziehungskraft hat, durch die sich die Stadt Werbeausgaben in Millionenhöhe spart. Dazu kommt der mindestens genauso große Wert für die Bürger, die mit dem Surfen eine einzigartige Wassersportmöglichkeit innerhalb der Stadt haben! Da muss man nicht jedes Wochenende in die Alpen zum Wildwasser fahren oder jeden Urlaub zum Surfen auf die Kanaren oder nach Asien fliegen. Das verleiht Floßlände und Eisbach natürlich auch einen Wert als umweltschonend zu erreichendes Ausflugziel: die meisten Surfer kommen per Fahrrad oder U-Bahn.
3. Ihr habt mit Dieter Reiter einen prominenten Befürworter für konstante Surfzeiten an der Floßlände gefunden. Wie habt ihr den Kontakt hergestellt?
Der Kontakt mit Dieter Reiter besteht schon länger, nämlich seit seiner Wahl 2014. Tatsächlich hat die IGSM e.V. seit ihrer Gründung die Kontakte in die Politik gesucht. So haben wir mit Dieter Reiters Vorgänger Christian Ude die Legalisierung des Surfens auf der Eisbachwelle realisiert. Als wir zum Oktoberfest 2019 den Eisbach für einen Tag verhüllt und den Kameralinsen der Touristen entzogen haben, konnten wir uns über ein großes Medienecho freuen. In der Folge kam es zu einem Treffen mit dem Oberbürgermeister, der unser Konzept für längere Surfzeiten und die ganztägige Beschickung der Floßlände direkt positiv aufgenommen und seine Unterstützung zugesichert hat.
4. Ende Juli hat Reiter die zuständigen Referate angewiesen, das Surfen am Ländkanal im Rahmen eines “Testbetriebs” umgehend zu ermöglichen. Was können wir uns unter einem Testbetrieb vorstellen?
Im Januar 2020 haben wir unser Konzept einer größeren Runde aus Politik, Gesellschaft und Verwaltung vorgestellt, wofür wir überwältigende Zustimmung erhielten. Leider ging es dann, bedingt durch Kommunalwahlkampf und COVID-19 erstmal nicht weiter. Nach der Absage der Floßfahrt Mitte Juni drohte die Surf-Saison an der Floßlände komplett auszufallen. Als sich die Verwaltung Mitte Mai geweigert hatte, wenigstens die hergebrachten fünf Stunden täglich genug Wasser für eine surfbare Welle bereitzustellen, zogen wir alle Register! Oberbürgermeister Reiter intervenierte schließlich und ordnete die sofortige Beschickung der Floßlände für den Wassersport an.
Das Ziel dieses Testbetriebs ist es erstens herauszufinden, wie stark die Stromerzeugung im Isarwerk 1 unter einer ganztägigen Beschickung des Ländkanals während der Floßsaison tatsächlich leidet. Nach eigenen Berechnungen geht die IGSM e.V. von einem jährlichen theoretischen Umsatzverlust von ca. 20-27.000 € durch entgangene Einspeisevergütung aus. Den jährlichen Stromverlust holt ein modernes Windrad in weniger als einem Monat rein.
Zweitens ist es für uns von höchstem Interesse, wie sich die ganztägig laufende Welle auf den Surfsport in München auswirkt. Erst wenn dazu Ende 2021 nach einer kompletten Saison von Mai bis September Fakten auf dem Tisch liegen, können wir im politischen Prozess einen seriösen Interessensausgleich zwischen Freizeitnutzung und Stromerzeugung finden. Deshalb hat der Oberbürgermeister das Referat für Gesundheit und Umwelt (RGU) auch angewiesen, die Ausweitung der Surfzeiten erst im Anschluss an diesen Testbetrieb zur Abstimmung in den Stadtrat zu bringen. Wir werden genau darauf achten, wie diese Beschlussvorlage formuliert wird, denn nach unserer Erfahrung werden die Interessen der SWM vom RGU priorisiert behandelt. Immerhin zeichnet sich jetzt schon ab, dass wieder viel mehr Menschen surfen gehen, die vorher durch die langen Wartezeiten die Lust verloren haben. Dazu zählen insbesondere unsere Surf-Kids, was uns alle besonders stolz macht.
5. Von wann bis wann kann man jetzt an der Floßlände surfen?
Aktuell geht es von 6:00 bis 21:30, also dreimal länger als bisher. Allerdings befinden wir uns derzeit noch in der Abstimmungsphase mit dem RGU. Unser Ziel sind Surfzeiten von 6:00 bis 21:30, auch für August und September.

6. Ist es euer Ziel, das Surfen an der Floßlände auf lange Sicht ganzjährig zu ermöglichen?
Derzeit fokussieren wir uns auf realistische Maßnahmen und schnell erreichbare Ziele, eine ganzjährige Beschickung der Floßlände ist da noch ferne Zukunftsmusik. Dennoch können wir uns Szenarien vorstellen, in denen das durchaus Sinn ergibt. In einem ersten Schritt könnte man beispielsweise über eine Ausweitung der Saison von April bis Oktober diskutieren. Langfristig haben wir uns auch zum Ziel gesetzt, mindestens eine neue Welle im Stadtgebiet zum Laufen zu bekommen. Ideen und Möglichkeiten gäbe es genug. Beispielsweise am Tucherpark oder an der Wittelsbacher Brücke. Mit uns ist also auch in Zukunft zu rechnen!
7. Warum ist die Floßlände wichtig, um sicheres Surfen am Eisbach zu gewährleisten?
Ein unerfahrener Flusssurfer ist in der unaufhaltsamen Strömung des Eisbachs schnell auf sich allein gestellt – wenn man hier in Panik gerät kann das kritisch werden. Die starke Strömung und der unebene Grund sind ebenfalls gefährlich. In München kann man nur an der Floßlände den sicheren Umgang mit Board und Leash und das richtige Aussteigen aus der Welle üben, der Spot ist daher unersetzlich. Hier kann sich jeder sichere Schwimmer jedes Alters auf dem Board probieren. Es sind immer Surfer da die einem Tipps geben und alle passen aufeinander auf. Es finden sich immer Menschen mit dem gleichen Level und im gleichen Alter, keiner ist hier allein, und das stärkt den Zusammenhalt der Szene immens.
Wir haben vor kurzem verschiedene Flußwellen verglichen, das Ergebnis des Tests lest ihr hier: https://prime-surfing.de/67535-pid67535/